Erkenntnisse aus dem Untergrund
Der Startschuss fiel 2011. In diesem Jahr gab es die erste Abwasserstudie, die den Konsum illegaler Drogen in 19 europäischen Städten analysierte. Nach diesem Erfolg folgten weitere − 2020 nahmen mehr als 80 Städte in 18 Ländern an der Studie teil. So konnte mit objektiven Daten eine Trendanalyse des Drogenkonsums erstellt werden.
Die meisten Menschen reagieren beim Begriff „Abwasser“ mit Naserümpfen, die wenigsten finden die stinkende Brühe interessant. Aber damit tut man der Kloake Unrecht. Abwasser birgt ungeahnte Potenziale. Es bietet ein hervorragendes Abbild unserer Gesellschaft. Vieles, was wir konsumieren, finden Analytiker hier wieder, insbesondere Medikamente und Drogen. Je nach Ausgangsmaterial weisen entsprechende Untersuchungen den Stoff oder seine Abbauprodukte nach, ausgeschieden über unseren Urin. Das kommt dem Kampf gegen illegale Drogen zugute.
Abwasseranalysen zeigen, wo welche Drogen in welchen Mengen konsumiert werden. Im Mai 2021 veröffentlichte die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht eine Studie, in der die wichtigsten Ergebnisse der Abwasseranalysen seit 2011 zusammengefasst wurden. Es zeigten sich deutliche zeitliche und geografische Unterschiede im Drogenkonsum.
Kokain wird nach wie vor hauptsächlich in west- und südeuropäischen Städten konsumiert. Allerdings gibt es derzeit in den bisher weniger betroffenen osteuropäischen Städten einen Anstieg. In der Grafik unten auf dieser Seite ist der Anstieg des Konsums in 8 europäischen Städten unübersehbar. In Deutschland ist bei den teilnehmenden Städten Hamburg die Kokain-Hauptstadt mit einem täglichen Verbrauch von knapp 460 mg pro 1.000 Personen. Auf Platz 2 der deutschen Rangliste steht Dortmund mit 305 mg pro 1.000 Personen täglich. Europaweit führend ist Antwerpen mit 1.175 mg pro 1.000 Personen täglich.
Wachsende Kokainrückstände im Abwasser in 8 EU-Städten von 2011 bis 2020
Der Trend ist unübersehbar: Die durchschnittliche Menge Benzoylecgonin (Hauptmetabolit von Kokain) pro Tag in Milligramm pro 1.000 Personen steigt in Antwerpen Zuid (Belgien) Zagreb (Kroatien), Paris Seine Centre (Frankreich), Mailand (Italien), Eindhoven und Utrecht (Niederlande), Castellon und Santiago (Spanien). Die Daten dieser 8 Städte standen jährlich zur Verfügung und wurden von 2011 bis 2020 ausgewertet.
Quelle: EMCDDA, Lissabon
Die stärksten Amphetamin-Belastungen im Abwasser finden sich in Nord- und Osteuropa. In südeuropäischen Städten waren die gefundenen Rückstände deutlich geringer. Auch Methamphetamin breitet sich weiter aus: Betroffen sind vor allem Zypern, Ostdeutschland, Spanien sowie Litauen, Dänemark, Norwegen und Finnland.
Als Ergebnis der Untersuchungen ergab sich ein deutliches Zeitmuster: Bei Methamphetamin zeigte sich eine gleichmäßige Verteilung über die gesamte Woche. Der Konsum von Amphetamin, Kokain und MDMA war am Wochenende nachweislich höher. Das bestätigt, dass diese Drogenvielfach als „Partydrogen“ eingenommen werden, um auf bedenkliche Art und Weise Erlebnisfähigkeit und Durchhaltevermögen zu steigern.
Der Cannabis-Gebrauch blieb gegenüber 2019 unverändert. Die Ergebnisse der Abwasseranalyse weisen darauf hin, dass in West- und Südeuropa am meisten konsumiert
wird, insbesondere in Städten in Kroatien, Frankreich, Spanien, den Niederlande und Portugal. THC bestätigte sich als die „Droge für jeden und jederzeit“: Es gibt keine
Unterschiede zwischen großen oder kleinen Städten und keine bevorzugten Zeitfenster, der Konsum verteilt sich ausgeglichen über die Woche.
Die Möglichkeiten der Abwasseranalyse sind jedoch bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. So wird daran gearbeitet, diese Art der Untersuchung auch für Auswertungen
bezüglich weiterer Drogen, dem Handel mit Drogen und der Herstellung verbotener Substanzen zu nutzen, um zum Beispiel Produktionsstätten ausfindig zu machen.
Aber schon jetzt hat die Abwasseranalyse bewiesen, dass sie klare Vorteile gegenüber anderen Methoden hat und diese gut ergänzt. Die Untersuchungen sind nicht von
subjektiven Antwortverzerrungen beeinflusst, wie dies bei manchen Erhebungen mit persönlicher Befragung der Fall ist. Auch können die konsumierten Stoffe besser
klassifiziert und mengenmäßig erfasst werden. Drogenkonsumenten wissen oft nicht, welchen Reinheitsgrad die eingenommenen Substanzen haben.
Die Schnelligkeit, mit der Abwasseranalysen neue Trends im Drogenkonsum selbst für räumlich kleine Gebiete liefern, bietet die Chance, rasch mit entsprechenden Maßnahmen
und Gegenprogrammen zu reagieren.